Antikörper zur Behandlung der Hämophilie

Die neueste Entwicklung: der Antikörper Emicizumab

Sogenannte „monoklonale Antikörper“ spielen in der modernen Medizin eine bedeutende Rolle. Sie finden in den unterschiedlichsten Therapiebereichen Anwendung und stellen eine große Bereicherung in der Therapie von eher unheilbaren Krankheiten dar. Seit 2019 steht der erste Antikörper auch zur Behandlung der Hämophilie A zur Verfügung.

Nach dem Durchbruch in der Umstellung von plasmatischen Faktor-Präparaten auf die rekombinanten Faktor-Präparate und dann auf die FVIII-Präparate mit verlängerter Halbwertzeit war die Einführung des (monoklonalen) Antikörpers Emicizumab nochmals ein deutlicher Fortschritt, der „sich nicht nur durch eine andere Art der Spritze („unter die Haut“ statt „in die Vene“) von den klassischen Gerinnungsfaktoren unterscheidet, sondern die Therapie revolutioniert.“ (Zitat: Dr. Cornelia Wermes auf der Website der Deutschen Hämophiliegesellschaft).

Der führende Hämophilie-Experte, Prof. Oldenburg, Leiter des größten Hämophiliezentrums in Deutschland (Bonn), sprach in Bezug auf die rekombinanten Faktor-Präparate vom bisherigen Goldstandard. Im deutschen Ärzteblatt wird er zitiert: „Emicizumab bewirkt also selbst im Vergleich zum Goldstandard eine deutliche Senkung der Blutungsrate.“ (Dtsch Arztebl 2019; 116(20): A-1017)

Der Begriff „Antikörper“ darf nicht mit den Begriffen „Hemmkörper“ oder „Inhibitoren“ verwechselt werden! Die Entwicklung von Hemmkörpern / Inhibitoren ist die schwerwiegendste behandlungsbedingte Komplikation der Ersatzfaktor VIII (FVIII)-Therapie für Patienten mit Hämophilie A, da sie FVIII zur Verhinderung und Kontrolle von Blutungen unwirksam macht.

Antikörper Emicizumab

Emicizumab (Handelsname: Hemlibra®) der Firmen Roche / Chugai ist ein aktueller Vertreter dieser Antikörper und wird zur Behandlung der Hämophilie A (mit und ohne Hemmkörper) eingesetzt. Das Medikament wurde sowohl in den USA als auch in Europa, der Schweiz und Japan zugelassen.

Das Besondere an Emicizumab ist, dass es sowohl an den Gerinnungsfaktor IXa als auch an den Faktor X bindet und somit den fehlenden Faktor VIII überbrückt. Insofern unterscheidet sich Emicizumab in seiner Wirkungsweise klar von den gentechnisch hergestellten und / oder den aus Blutplasma gewonnenen FVIII-Präparaten.

Emicizumab ersetzt nicht einfach den Faktor VIII, sondern ahmt den fehlenden Gerinnungsfaktor selbst in seiner Wirkweise nach. Er übernimmt somit die Funktion von Faktor VIII und verursacht dadurch auch nicht die Entwicklung der neutralisierenden Hemmkörper, die als schwere Nebenwirkung der Faktorersatztherapie (d.h. Hemmkörper-Hämophilie; s. unten) auftreten kann.

Lange Halbwertzeit

Emicizumab kann bei allen Altersgruppen angewendet werden. Emicizumab wird subkutan verabreicht, was eine große Erleichterung im Alltag bedeutet.  Es kann – aufgrund seiner langen Halbwertzeit von fast 4 Wochen (über 640 Stunden) – in der Erhaltungsdosis wöchentlich, alle 2 oder alle 4 Wochen angewendet werden und bietet aufgrund seines konstanten Plasmaspiegels einen langen Schutz vor Blutungen. Es handelt es sich aber nicht um ein Medikament zur akuten Blutungs-Behandlung. Insofern ist eine andere Form der Flexibiltät gegeben (s.u. die Rubrik „Wo Licht, da auch Schatten“).

Hemmkörper Bildung

Der Antikörper Emicizumab verursacht nicht die Entwicklung der neutralisierenden Hemmkörper. Emicizumab hat keine strukturelle Beziehung oder Sequenzhomologie zu Faktor VIII, sodass es die Entwicklung direkter Hemmkörper gegen Faktor VIII weder auslöst noch verstärkt.

Das Immunsystem kann jedoch bei therapeutischen Antikörpern auch Gegenreaktionen auslösen, nämlich mit der Bildung von Antikörpern reagieren, sogenannten Anti-Drug-Antibodies (ADA) . Unter der Rubrik „Wo Licht, da auch Schatten“ (s.u.) wird darauf näher eingegangen.

Videos der Interessengemeinschaft Hämophiler e.V.

Die Interessengemeinschaft Hämophiler e.V. (IGH) hat – in Zusammenarbeit mit Dr. med. C. Königs von der Uniklinik Frankfurt – eine Video-Reihe erstellt, die in kurzen Filmen von jeweils zwei bis drei Minuten die neuesten wissenschaftlichen Trends in der Hämophiliebehandlung darstellt und erläutert. Im Folgenden die Darstellung des Antikörper Emicizumab durch Herrn Dr. Königs, wobei ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass Emicizumab sowohl bei Patienten mit als auch bei Patienten ohne Hemmkörper eingesetzt werden kann:

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Meldungen / Nachrichten zu Emicizumab:

Hemlibra® in der Hämophilie A-Therapie:

Jetzt profitieren auch Patient:innen mit mittelschwerer Erkrankung (PM vom 6. März 2023 der Fa. Roche)

Hemlibra®: Jetzt auch für Patienten mit mittelschwerer Hämophilie A (PM vom 1. Februar 2023 der Fa. Roche)

CHMP empfiehlt Zulassungserweiterung für Hemlibra®▼ für Patienten mit mittelschwerer Hämophilie A mit schwerem Blutungsphänotyp (PM vom 16. Dezember 2022 der Fa. Roche)

Schweiz: Hemlibra® erhält Zulassungserweiterung für leichte oder mittelschwere Hämophilie A

Therapie mit Hemlibra® (PM vom 19. Juli 2022 der Fa. Roche)

Zulassungserweiterung für Hemlibra® in Japan – Erworbene Hämophilie

Hämophilie A-Therapie mit Hemlibra▼: Blutungsprophylaxe – heute und in Zukunft (PM vom 18. März 2022 der Fa. Roche)

Therapeutische Antikörper von Roche (PM vom 18. Januar 2022 der Fa. Roche)

Therapieziel bei Hämophilie A (PM vom 19. August 2021 der Fa. Roche)

Mehr Freiheit und erhöhte Flexibilität für Hämophilie A-Patienten durch Routine-Prophylaxe mit dem Antikörper Hemlibra®▼ (PM vom 19. März 2021 der Fa. Roche)

Hoher Blutungsschutz und Reduktion von Zielgelenken unter Antikörper-Prophylaxe mit Hemlibra® bei Hämophilie A (Pressemeldung vom 7. Dezember 2020 der Fa. Roche)

ICER evaluiert Hämophilie-Therapien unter Berücksichtigung der Patientenperspektive (Pressemeldung vom 30. Oktober 2020 der National Hemophilia Foundation)

Sicher, verträglich und effektiv: Neue Studien bestätigen das Sicherheits- und Wirksamkeitsprofil von Hemlibra® (Pressemeldung vom 14. Juli 2020 der Fa. Roche)

Klinische Erfahrungen mit Hemlibra® in der Praxis bestätigt: Weniger Blutungen in der Routine-Prophylaxe (Pressemeldung vom 4. März 2020 der Fa. Roche)

„Antikörper“ (das Medikament) ist nicht zu verwechseln mit den – unerwünschten – „Hemmkörpern“ / „Inhibitoren“ (Nebenwirkung)!

Die größte Komplikation und unerwünschte Nebenwirkung bei der Therapie von Hämophilie A mit (gentechnisch) hergestellten oder auch aus Plasma gewonnenen Faktor-VIII-Präparaten liegt in der Bildung von Hemmkörpern (Inhibitoren) gegen den eingesetzten Faktor VIII.  Vom körpereigenen Immunsystem gebildete Antikörper gegen den verabreichten Faktor VIII erkennen den Faktor als fremd und neutralisieren ihn. Dies kann dazu führen, dass die Therapie unwirksam wird.

Die Hemmkörper binden den intravenös gespritzten FVIII und verhindern dessen Wirkung, so dass die notwendige Erhöhung des Faktorspiegels nicht erreicht wird, und es in der Folge wieder zu Blutungen kommt bzw. Blutungen nicht gestillt werden können.

Diese Komplikation wird auch als Hemmkörper-Hämophilie bezeichnet. Weltweite Studien (z.B. die SIPPET-Studie) zeigen, dass etwa 25-30 % der behandelten Patienten Hemmkörper entwickeln.

Hemmkörperbildung und Behandlungsmöglichkeiten

Bei diesen Patienten sind je nach Therapieform manchmal noch häufigere Injektionen erforderlich, beispielsweise bei einer Immuntoleranztherapie (ITT). Bei der ITT werden über eine lange Zeit – manchmal über Jahre – oft hohe Dosen Faktor VIII verabreicht, mit dem Ziel, dass sich das Immunsystem über die Zeit an den substituierten Faktor VIII gewöhnt. Bei Versagen einer ITT oder bei Patienten, für die eine ITT nicht geeignet ist, stehen als weitere Optionen Bypass-Medikamente und die Antikörpertherapie zur Verfügung.

Bei der Antikörpertherapie mit Emicizumab handelt es sich nicht um eine Faktor-VIII-Ersatztherapie, da der Wirkstoff völlig anders aufgebaut ist. Deshalb erkennen die Hemmkörper ihn nicht als fremd und blockieren seine Wirkung nicht. Patienten sollten zusammen mit ihrem Arzt entscheiden, welche Therapieoption am besten für sie geeignet ist.

Wo Licht, da auch Schatten

  • Kosten: Die Professoren Schubert-Zsilavezc und Steinhilber stellten auf dem Apotheker Kongress Interpharm 2018 innovative Therapieansätze dar. Im Englischen wird dafür vielfach der Begriff „breakthrough therapy“ („Durchbruch“) verwendet. Unter der Überschrift „Endlich ein wirklicher Durchbruch!“ berichtet die Deutsche Apotheker Zeitung über ihren Vortrag, in dem die beiden Pharmazeuten Emicizumab zwar den „Durchbruch“ bescheinigten, aber auch die hohen Kosten solcher „Durchbrüche“ thematisierten. Professor Schubert-Zsilavezc ist Apotheker, ordentlicher Professor für pharmazeutische Chemie an der Universität Frankfurt, der durch seine Funktion als wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker (ZL) und als Herausgeber der „Bibel“ für Apotheker bekannt ist: Hunnius – Pharmazeutisches Wörterbuch (s.a. Wikipedia). Professor Steinhilber ist ebenfalls Apotheker, ordentlicher Professor und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Chemie in Frankfurt.
  • Flexibilität: Die einerseits positiv empfundene lange Halbwertzeit (HWZ) von Emicizumab, an der ja auch in Bezug auf die rekombinanten Präparate erfolgreich gearbeitet wurde, hat eine Einschränkung in Bezug auf die bedarfsgerechte Therapie. Bei Emicizumab handelt es sich nicht um ein Medikament zur akuten Blutungs-Behandlung, sondern zur Vorbeugung (Prophylaxe). Sollte eine akute Behandlung trotzdem mal erforderlich sein, müsste ein Faktor-Präparat gegeben werden, und der Patient wäre dazu möglicherweise nicht so schnell in der Lage. Und zwar aufgrund von eventuell fehlender Verfügbarkeit resp. der Tatsache, dass er oder die Angehörigen nicht damit vertraut sind, wie man eine intravenöse Behandlung durchführt. Beidem sollte entsprechend vorgebeugt werden, indem der Patient vorsichtshalber das individuell passende Faktor-Präparat im Kühlschrank vorrätig hält.
  • Anti-Drug-Antibodies (ADA): Bei therapeutischen Antikörpern kann das Immunsystem mit der Bildung von Antikörpern reagieren, sogenannten Anti-Drug-Antibodies (ADA), die eine hemmende Wirkung haben können. Diese ADAs sind nicht mit Hemmkörpern (s.o.) zu verwechseln. Die ADAs unterscheidet man einerseits darin, ob sie neutralisieren oder nicht, und anderseits hinsichtlich ihres Einfluss‘ auf die Effektivität. Bei der Behandlung mit Emicizumab sind im Rahmen der klinischen Studien bei insgesamt 14 von 398 (also 3,5%) Patienten ADAs aufgetreten. Bei nur 3 Patienten (also unter 1 %) kam es zu neutralisierenden ADAs. Selbst bei neutralisierenden ADAs kam es sowohl zu so gut wie keinem Verlust der Wirksamkeit, als auch dem – unerwünschten – Verlust der Wirksamkeit.

Die Forschung bleibt nicht stehen

Es gibt Forschungsbemühungen, weitere Antikörper und / oder Faktor-Präparate mit verlängerter Halbwertzeit zu entwickeln. Und die Gentherapie stellt sicherlich die nächste Revolution dar.

Relevante Links zum Antikörper Emicizumab