Therapie

Eine enorme Entwicklung in Therapie und Lebensqualität

Die Therapie oder auch Behandlung der Hämophilie hat in den vergangen Jahrzehnten eine enorme Entwicklung erfahren. Inzwischen gibt es zahlreiche Medikamente, die zur Behandlung oder auch Vorbeugung (Prophylaxe) eingesetzt werden.

Es begann damit, dass man aus dem Blutplasma den (fehlenden) Faktor VIII gewann. Diese Methode ist leider – in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts – mit sehr unerwünschten Begleiterscheinungen (Infektion mit AIDS- und Hepatitis-Viren) verbunden gewesen.

Der nächste Schritt war die Herstellung von gentechnologischen, so genannter rekombinanter Faktor-Präparate resp. Faktor VIII-Präparaten mit verlängerter Halbwertzeit (HWZ). Diese sind wesentlich sicherer, haben aber immer noch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil einer unerwünschten Nebenwirkung: die Hemmkörper-Hämophilie.

Der neueste Stand der Forschung

Der neueste Stand der Forschung ist ein sogenannter therapeutischer Antikörper, der „sich nicht nur durch eine andere Art der Spritze („unter die Haut“ statt „in die Vene“) von den klassischen Gerinnungsfaktoren unterscheidet, sondern die Therapie revolutioniert.“ (Zitat: Dr. Cornelia Wermes auf der Website der Deutschen Hämophiliegesellschaft). Frau Dr. Wermes ist Vorsitzende des Ärztlichen Beirats der Deutschen Hämophiliegesellschaft (DHG), Mitglied im Berufsverband der Deutschen Hämostaseologen (BDDH), im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung sowie in diversen Fachgesellschaften. (Quelle: www.praxis-wermes.com)

Drei Gruppen

Es lassen sich also die folgenden drei Gruppen im aktuellen Therapieansatz unterscheiden:

Und dann gibt es noch die Zukunft, in der nicht zuletzt die Gentherapie am vielversprechendsten ist.

Ziel der Therapie

Das wichtigste Ziel ist, Blutungen und deren Folgen zu vermeiden sowie aufgetretene Blutungen effektiv zu stillen. Aber daneben geht es in der Therapie der Hämophilie A auch darum, die Lebensqualität der Betroffenen dauerhaft zu verbessern. Die Therapie der Wahl ist derzeit, den fehlenden oder defizienten Faktor VIII durch intravenöse Injektionen von Faktor VIII-Präparaten (Faktorpräparaten) zu substituieren. Faktorpräparate werden entweder aus humanem Blutplasma gewonnen oder biotechnologisch hergestellt. Sie ersetzen den fehlenden humanen Faktor VIII. 

Abhängig vom Schweregrad werden Menschen mit Hämophilie A entweder bei Bedarf (vor allem bei leichter bis mittelschwerer Hämophilie) oder mit einer prophylaktischen Dauertherapie (bei schwerer Hämophilie) behandelt.

Darüber hinaus werden gegebenenfalls auftretende Blutungen mit Faktor VIII gestoppt.

In Deutschland erhalten Menschen mit schwerer Hämophilie A überwiegend (zu 85 %) eine prophylaktische Dauertherapie, die nach einer Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) einen Zusatznutzen gegenüber der akuten anlassbezogenen Therapie bei Bedarf hinsichtlich der Anzahl der Blutungen hat.

Für die Hämophilie-Therapie der hämophilen Gerinnungsstörungen gibt es in Deutschland spezialisierte Behandlungszentren. In vielen Fällen können die Betroffenen oder – bei Kindern – deren Eltern die intravenöse Injektion der Faktor VIII-Präparaten nach entsprechender Schulung zu Hause selbst durchführen. Die Therapieführung / -kontrolle und Notfallversorgung bei Blutungen erfolgt durch das behandelnde Hämophilie-Zentrum. Dieses Konzept der sogenannten „ärztlich kontrollierten Heimselbstbehandlung“ wurde in den 1970er Jahren im Hämophilie-Zentrum an der Universität Bonn entwickelt. Dieses Therapiekonzept lässt den Menschen mit Hämophilie A und ihren Familien im Alltag mehr Freiheiten und stellt gleichzeitig ein schnelles Reagieren bei Durchbruchsblutungen oder traumatischen Blutungen sicher.

Herausforderungen für Ärzte und Betroffene

Mit der Diagnosestellung beginnt eine langjährige intensive Beziehung zwischen Betroffenen und Ärzten am Hämophilie-Zentrum. Dies schließt neben der Hämophilie-Behandlung auch die psychosoziale Betreuung, die Beratung bei medizinischen Eingriffen und interdisziplinäre Versorgung z.B. bei Gelenkschäden ein.

Die Behandlung der Hämophilie A ist auch heute noch eine Herausforderung. Bei leichtem bis mittlerem Schweregrad können die Betroffen im Falle einer Blutung, als bei Bedarf mit der Injektion eines Faktorpräparates reagieren, leben aber mit dem ständigen Risiko von Blutungen.

Bei schwerer Hämophilie wird mit der prophylaktischen Dauertherapie versucht, durch regelmäßige Substitution eine ausreichende Blutgerinnung sicherzustellen. Ziel ist es, eine Faktor VIII-Aktivität von dauerhaft über 15 % zu erreichen, Talspiegel mit niedriger Restaktivität sollten vermieden werden. Die Halbwertszeit von Faktorpräparaten liegt meist bei 4 – 8 Stunden, maximal bei 19 Stunden. Deshalb müssen diese Medikamente regelmäßig, d. h. zwei- bis dreimal wöchentlich, intravenös injiziert werden. Dabei sinkt in den Perioden zwischen den Injektionen die Faktor VIII-Aktivität bis unter 5 %. Damit ist ein in diesem Zeitraum höheres Risiko für Blutungen verbunden, bestimmte körperliche und sportliche Aktivitäten sollten gemieden werden. Allerding kann es auch trotz prophylaktischer Therapie immer wieder zu Durchbruchsblutungen aufgrund der schwankenden Plasmaspiegel, körperlicher Aktivität oder durch vorgeschädigte Gelenke kommen. Die i. v.-Injektionen müssen regelmäßig zum gleichen Zeitpunkt erfolgen. Dies erfordert Planung des Alltages, Disziplin und Zeit.

Nachteil der intravenösen Injektion

Besonders bei Kleinkindern erweist es sich als schwierig, Faktorpräparate dauerhaft zu geben. Infolge der häufigen intravenösen Injektionen kann es zu Vernarbungen kommen, die den venösen Zugang zunehmend erschweren und einen stationären Zugang (zentraler Venenkatheter, Port) erforderlich machen. Dieser führt oft zu Bewegungseinschränkungen bzw. Stigmatisierung und stellt ein Risiko für lokale thrombotische Reaktionen und Infektionen dar.

Bildung von Hemmkörpern

Bei etwa 25-30 % der Menschen mit schwerer Hämophilie A reagiert das Immunsystem mit der Bildung von Hemmkörpern (Inhibitoren) gegen das eingesetzte Faktor VIII-Präparat. Diese Hemmkörper binden den injizierten Faktor VIII und verhindern somit dessen Wirkung. Solange der Titer der gebildeten Hemmkörper niedrig bleibt, kann dies vorübergehend durch tägliche Injektion einer höheren Dosierung des Faktorpräparates kompensiert werden.

In vielen Fällen ist aber eine Immuntoleranztherapie erforderlich, um den Hemmkörper zu eliminieren (10- bis 20-mal höher dosiertes Faktor VIII-Präparat als bei einer Standardtherapie). Diese ist mit täglichen Infusionen belastend für die Betroffenen, am Anfang meist stationär und dauert zwischen 6 – 24 Monaten. In etwa 80 % der Fälle ist die Immuntoleranztherapie erfolgreich, d. h. es sind keine Hemmkörper gegen Faktor VIII mehr nachweisbar. Bei Weiterführung der prophylaktischen Therapie kann es allerdings zu einer erneuten Bildung von Hemmkörpern kommen. Bei Menschen mit Hämophilie A, bei denen diese Behandlung nicht zur Verdrängung der Hemmkörper führt, kann nach einer Therapiepause eine weitere Immuntoleranztherapie und die Kombination mit immunsuppressiven Medikamenten versucht werden. Führen diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, sind die Betroffenen auf Therapieoptionen mit Bypass-Medikamenten angewiesen.

Der Antikörper Emicizumab

Aus Sicht der Menschen mit schwerer Hämophilie A werden die regelmäßigen Injektionen, das Risiko von Komplikationen, wie Schwierigkeiten beim venösen Zugang oder das Auftreten von Hemmkörpern, und das Risiko von Blutungen als belastend empfunden. Mit Emicizumab besteht Anlass zu Optimismus, dass die Behandlung verbessert und erleichtert werden kann. In Studien wurde gezeigt, dass Emicizumab in der prophylaktischen Therapie bei Menschen mit Hämophilie A mit Hemmkörpern gegen FVIII in allen untersuchten Parametern im Vergleich zu einer prophylaktische Therapie oder Bedarfstherapie mit Bypass-Medikamenten signifikant besser abschnitt. Aufgrund der langen Halbwertszeit von 28-34 Tagen wurden stabile Plasmaspiegel mittels einmal wöchentlicher Gabe erreicht. Zudem wird der Antikörper subkutan appliziert und ist so für Menschen mit Hämophilie A leichter zu handhaben und weit weniger invasiv.

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Das Deutsche Hämophilieregister (DHR) im Paul-Ehrlich-Institut

Das Paul-Ehrlich-Institut führt in Zusammenarbeit mit den beiden Patientenverbänden (Interessengemeinschaft Hämophiler e.V., kurz IGH und der Deutschen Hämophiliegesellschaft, kurz DHG) und der medizinischen Fachgesellschaft GTH das Deutsche Hämophilieregister (DHR).