Sexualität und Hämophilie auf der Grundlage von Patientendaten

Studie in der Fachzeitschrift Haemophilia veröffentlicht

Das Verständnis für die Sexualität resp. sexuelle Gesundheit von Menschen mit Hämophilie (PWH), einschließlich der Schwierigkeiten mit sexueller Aktivität und Intimität, war in der Vergangenheit nicht ausreichend. Um diese Wissenslücke zu schließen, wurde eine neue Studie durchgeführt, um die Prävalenz sexueller Schwierigkeiten in dieser Bevölkerungsgruppe zu ermitteln, sie mit der von Menschen ohne Blutungsstörung (PWNoBD) zu vergleichen und Faktoren aufzudecken, die zu diesen Schwierigkeiten beitragen.

Die daraus resultierende Studie mit dem Titel „Evaluation of the Sexual Health in People living with Hemophilia“ wurde in der Fachzeitschrift Haemophilia veröffentlicht. Die Forscher führten eine retrospektive Analyse von Daten durch, die im Rahmen der PROBE-Initiative (Patient Reported Outcomes Burdens and Experiences) gewonnen wurden, einem internationalen Netzwerk zur Datenerhebung und einem Fragebogeninstrument, das entwickelt wurde, um mehr über die Auswirkungen der Hämophilie auf die von den Patienten berichteten Ergebnisse zu erfahren.

Der PROBE-Fragebogen enthält Fragen zu Schwierigkeiten mit der sexuellen Intimität und ist so konzipiert, dass er anonym ist. Er kann auf Papier, über die myPROBE-App oder über die PROBE-Website ausgefüllt werden. Das Ausfüllen des Fragebogens dauert etwa 7-15 Minuten. Die Teilnehmer wurden von nationalen Mitgliedsorganisationen der World Federation of Hemophilia und entsprechenden Kontrollgruppen in 48 Ländern rekrutiert. Die Rekrutierung umfasste Personen mit Hämophilie A oder B und PWNoBD, die 18 Jahre oder älter waren.

Da der Fragebogen Daten zu demografischen Merkmalen, komorbiden Krankheiten, allgemeinen Gesundheitsproblemen und hämophiliebezogenen Gesundheitsproblemen enthält, konnten die Forscher mehrere signifikante Zusammenhänge mit sexuellen Schwierigkeiten herstellen.

Sexualität und Hämophilie

In die Analyse wurden schließlich 2007 Personen mit und 1972 Personen ohne Hämophilie einbezogen. Das Durchschnittsalter lag bei 41 Jahren bei PWH und 42 Jahren bei PWNoBD. Sexuelle Schwierigkeiten wurden von 302 (15,1 %) Menschen mit Behinderung und 79 (4,0 %) Menschen ohne Behinderung berichtet, wobei die Wahrscheinlichkeit sexueller Schwierigkeiten bei Menschen mit Behinderung signifikant höher war.

Während die Forscher feststellten, dass allgemeine Gesundheitsprobleme und verschiedene Erkrankungen die sexuelle Gesundheit von Menschen mit und ohne Behinderung beeinträchtigten, war der Zusammenhang zwischen selbstberichteten komorbiden Erkrankungen und der sexuellen Gesundheit in der ersten Gruppe größer. Hepatitis B, Hepatitis C, Bluthochdruck, Arthritis und Zahnfleischentzündung waren jeweils mit einer höheren negativen Auswirkung auf die sexuelle Gesundheit von MmB verbunden.

Darüber hinaus hatten bestimmte Blutungsarten bei Menschen mit Behinderung größere negative Auswirkungen auf die sexuelle Aktivität, einschließlich derjenigen im Psoas, einem Paar großer Muskeln, die von der Lendenwirbelsäule durch die Leistengegend verlaufen und am Oberschenkelknochen ansetzen. Diese Muskeln werden zusammen als Iliopsoas bezeichnet und tragen zur Beugung des Hüftgelenks bei.

„Wir haben festgestellt, dass Menschen mit Behinderung, die über eine kürzlich aufgetretene Psoas-Blutung berichteten, häufiger sexuelle Schwierigkeiten hatten als diejenigen, die dies nicht taten. Blutungen des Iliopsoas-Muskels können den Geschlechtsverkehr einschränken, da dieser Muskel für die Schubbewegung beim Geschlechtsverkehr zuständig ist“, erklärten die Autoren.

Die Forscher stellten außerdem fest, dass es eine Reihe unabhängiger Faktoren gab, die zu sexuellen Schwierigkeiten bei Menschen mit Behinderung beitragen, darunter ein höheres Alter, akute oder chronische Schmerzen in den letzten 12 Monaten, Blutungen innerhalb der letzten zwei Wochen, eine eingeschränkte Beweglichkeit der Gelenke, mehr als drei spontane Gelenkblutungen in den letzten sechs Monaten und lebensbedrohliche Blutungen in den letzten 12 Monaten. Jede Kombination dieser Faktoren kann zu verstärkten Schmerzen, eingeschränkter Beweglichkeit und damit zu Einschränkungen bei der sexuellen Positionierung und beim Geschlechtsverkehr führen.

Angesichts der durch diese Studie gewonnenen Erkenntnisse sehen die Forscher die Möglichkeit, sicherzustellen, dass die Sexualität resp. sexuelle Gesundheit zu einem wichtigen Bestandteil der Gespräche wird, die in Zukunft die Hämophilieversorgung und die Lebensqualität von Menschen mit Hämophilie bestimmen werden.

„Sexuelle Schwierigkeiten sind bei Menschen mit Hämophilie weit verbreitet. Gesundheitsprobleme und Komorbiditäten führten bei Menschen mit Behinderung häufiger zu Schwierigkeiten in der sexuellen Gesundheit als bei Menschen ohne Behinderung. Gesundheitsdienstleister, Forscher und politische Entscheidungsträger sollten die Diskussion über die Sexualität resp. sexuelle Gesundheit in die umfassende Hämophilieversorgung, die künftige Forschung und die Gesundheitspolitik einbeziehen“, schlossen die Autoren.

Germini F, Chai-Adisaksopha C, Pete D, et al. Evaluation of the sexual health in people living with hemophilia. Hämophilia. 2021;1-9. https://doi.org/10.1111/hae.14410