Hämophilie B: Anhaltender Blutungsschutz durch rFIXFc mit verlängerter Halbwertszeit

Der rekombinante Faktor IX Eftrenonacog alfa (rFIXFc) mit verlängerter Halbwertszeit ist seit 2016 für die Prophylaxe und Behandlung von Blutungen bei Hämophilie B von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen (1). Seit 5 Jahren können damit Hämophilie-B-Patienten jeden Alters ihre individuelle, optimale Blutungsprophylaxe und Behandlung bei Blutungsereignissen erhalten (1). Das umfangreiche klinische Studienprogramm schließt zuvor unbehandelte Patienten (PUPs) mit ein (1). Die Daten der Open-Label-Langzeitstudie B-YOND sowie Real-World-Daten bestätigen das überzeugende Sicherheitsprofil und den hohen Blutungsschutz, auch für die Gelenke.

Der rekombinante Gerinnungsfaktor Eftrenonacog alfa wurde im Mai 2016 in Deutschland als erstes und einziges rFIX-Fc-Fusionsprotein mit verlängerter Halbwertszeit (extended half-life, EHL) zur Behandlung und Prophylaxe von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie B zugelassen (1, 3). Mittels Fc-Fusionstechnologie wird der rekombinante Faktor IX kovalent mit dem Fc-Teil von Immunglobulin G1 verbunden. Bei der Herstellung von Eftrenonacog alfa wird eine humane Zelllinie (HEK) verwendet, bei der keine Proteine tierischen oder menschlichen Ursprungs zugesetzt werden (1).

Niedrigere Dosierungsfrequenz mit flexiblen Intervallen

Die, im Vergleich zu konventionellen FIX-Präparaten, 4,8-fach verlängerte Halbwertszeit ermöglicht für die Blutungsprophylaxe eine niedrigere Dosierungsfrequenz mit flexiblen Intervallen von 7, 10 bis 14 – bei einigen Patienten auch mehr – Tagen (1, 3). Durch Verlängerung der Dosierungsintervalle lässt sich die therapiebedingte Belastung reduzieren, während die Vorteile hinsichtlich der Wirksamkeit erhalten bleiben (2, 3). „rFIXFc hat daher das Potenzial, die Therapieadhärenz und demzufolge auch den Blutungsschutz im Vergleich zu Faktorpräparaten mit Standard-Halbwertszeit zu verbessern“, so Prof. Johannes Oldenburg, Bonn. „All dies kann zu einer Optimierung von Therapieerfolg und Lebensqualität beitragen.“

Umfassendes klinisches Studienprogramm mit Langzeitdaten über bis zu 5 Jahren

Sicherheit, Wirksamkeit und Pharmakokinetik von rFIXFc wurden im Rahmen eines umfangreichen klinischen Studienprogramms untersucht. Dazu zählen die beiden zulassungsrelevanten Phase-III-Studien B-LONG bei vorbehandelten jugendlichen und erwachsenen Betroffenen (n=123; Alter 12 – 71 Jahre) und Kids B-LONG bei pädiatrischen Patienten (n=30; Alter < 12 Jahre) mit schwerer Hämophilie B (? 2% der endogenen FIX-Aktivität) (1, 4, 5).Mittlerweile liegen Langzeitdaten über bis zu 5 (kumulativ bis zu 6,5) Jahre aus der offenen Verlängerungsstudie B-YOND vor, in der insgesamt 120 Patienten (Alter 3 – 63 Jahre) aus B-LONG (n=93) oder Kids B-LONG (n=27) weiterbehandelt wurden. Die Mehrheit (n=51 bzw. n=23) erhielt eine wöchentliche Prophylaxe (20 – 100 I.E./kg alle 7 Tage), weitere 36 (n=31 bzw. n=5) eine Intervall-adjustierte Prophylaxe (100 I.E./kg alle 8 – 16 Tage oder 2 x im Monat), 17 (aus B-LONG) eine modifizierte Prophylaxe mit personalisierter Dosierung und 15 (aus B-LONG) eine Bedarfsbehandlung. Ziel war es, FIX-Talspiegel von 1 bis 3% zu erreichen, die individuell auf 5% oder höher angepasst werden konnten (2). „Die Ergebnisse aus B-YOND bestätigen die langfristige, gut charakterisierte Sicherheit und Wirksamkeit von rFIXFc in der Prophylaxe und Behandlung von Blutungen sowie im perioperativen Management bei Hämophilie B“, resümierte Studienarzt Prof. Oldenburg. Die längeren Dosierungsintervalle ließen sich bei den meisten Patienten beibehalten. Das Sicherheitsprofil war konsistent mit dem in vorausgegangenen Studien. Dabei traten keine Hemmkörper auf. Die annualisierten Blutungsraten (ABR) blieben bei allen Prophylaxe-Patienten anhaltend niedrig. 97% der akuten Blutungen konnten mit maximal 2 Injektionen gestoppt werden (2).

Hämophilie A und B: Gentherapie soll Lebensqualität erhöhen

Bisher waren die etwa 6.000 Menschen in Deutschland, die an einer schweren Hämophilie A oder B leiden, auf regelmäßige Infusionen mit Gerinnungsfaktoren angewiesen. Neben neuartigen therapeutischen Antikörpern könnte zukünftig auch eine Gentherapie vor lebensgefährlichen Blutungen schützen. Die Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) rechnet damit, dass diese…Lesen Sie mehr!

Effektiver Gelenkschutz mit 100% Auflösung der Zielgelenke

Die langfristige Prophylaxe mit rFIXFc ging auch mit einer anhaltenden Verbesserung der Gelenkgesundheit einher, wie eine Post-hoc-Analyse im Rahmen der B-YOND-Studie bei Patienten ? 12 Jahren ergab. Sie führte bei allen Patienten mit beurteilbaren Zielgelenken in allen Behandlungsgruppen zu einer 100%igen Auflösung der Zielgelenke. 90% der Zielgelenke blieben nach Auflösung im Median über etwa 4 Jahre Nachbeobachtung frei von Rezidiven. Die medianen ABR in den Gelenken waren niedrig: Sie lagen bei 1,1 (Jahr 1), 1,0 (Jahr 2 und 3) und 0,0 (Jahr 4 und 5) bei Patienten > 12 Jahren bzw. zwischen 1,0 (Jahr 2) und 0,0 (Jahr 1, 3 und 4) bei Kindern bis 12 Jahren.

Steigerung der Lebensqualität und der körperlichen Aktivität

Mit rFIXFc behandelte erwachsene Patienten berichteten zudem über Verbesserungen der Lebensqualität im Verlauf der B-LONG-Studie, die über 24 Monate Follow-up im Rahmen von B-YOND aufrechterhalten blieben. Dazu wurden die Veränderungen im Haem-A-QoL Gesamtscore im Vergleich zum Studienbeginn erfasst. Dabei zeigten sich signifikante anhaltende Verbesserungen in den Bereichen Sport- und Freizeitaktivitäten, körperliche Gesundheit, Selbsteinstellung und Emotionen. Darüber hinaus führte die Prophylaxe mit rFIXFc zu signifikant besseren Ergebnissen in Bezug auf Schmerzen und körperliche Aktivität.

Günstige Pharmakokinetik mit ausgeprägter extravasaler Verteilung

FIX weist im Vergleich zu FVIII pharmakokinetische Besonderheiten auf. Er ist deutlich kleiner und verteilt sich deshalb stärker im Gewebe. So sind innerhalb von 5 Minuten nach Injektion bereits bis zu 80% des FIX in extravasale Gewebespeicher diffundiert. Experimentelle und klinische Daten deuten darauf hin, dass dieses extravasale Reservoir beim Blutungsschutz eine bedeutsame Rolle spielt (10, 11). Im Mausmodell zeigte sich, dass eine FIX-Variante, die mit hoher Affinität an Kollagen Typ IV bindet, einen länger anhaltenden Blutungsschutz gewährleisten kann (10). Dies könnte bei der Hämophilie gerade im Bereich der Gelenke klinisch relevant sein, zumal die Synovialmembran reich an Kollagen IV ist (12). Die hämostatische Wirkung hielt auch dann noch an, wenn die FIX-Plasmaspiegel mehrere Tage nach Injektion unter der Nachweisgrenze lagen (10). Die messbaren FIX-Plasmaspiegel sind somit kein ausreichendes Kriterium zur Einschätzung der Wirksamkeit. Auch klinische Studien weisen darauf hin, dass die Talspiegel nicht direkt mit Blutungsereignissen korrelieren: Während die verschiedenen EHL-FIX-Präparate zwar in Hinblick auf Verteilungsvolumen und Talspiegel untereinander variieren, sind die mittleren ABR unter Prophylaxe ähnlich (4, 13, 14).Das Ausmaß der Gewebeverteilung scheint abhängig zu sein von der Technologie, auf der die Halbwertszeitverlängerung beruht. Tierexperimentelle Daten an Mäusen deuten darauf hin, dass die extravasale Gewebeverteilung günstige Auswirkungen auf den Blutungsschutz haben könnte, die unabhängig vom Faktor-Talspiegel sind. So zeigten In-vivo-Untersuchungen mittels SPECT (singlephoton emission computed tomography) für rFIXFc im Vergleich zu PEGyliertem rFIX (rFIX-GP) eine signifikant stärkere Anreicherung und Lokalisation im Bereich der Gelenke, die auch über einen längeren Zeitraum nachweisbar war. Dies spricht dafür, dass das hohe Ausmaß der Gewebeverteilung auf einen Fc-vermittelten Mechanismus zurückzuführen ist (15).

Real-World-Daten bestätigen experimentelle Beobachtungen

Klinische Daten aus dem Praxisalltag deuten darauf hin, dass das Ausmaß der extravasalen Verteilung von FIX für die Blutungsprävention und -kontrolle von Bedeutung sein könnte. Sie basieren auf einer Umfrage an 6 pädiatrischen Hämophilie-Zentren in den USA und Kanada bei insgesamt 90 Patienten mit schwerer Hämophilie B, darunter 67 Patienten mit einem EHL-FIX-Präparat: 37 erhielten rFIXFc, 26 ein rFIX-Albumin-Fusionsprotein (rIX-FP) und 4 N9-GP. Trotz scheinbar ausreichender FIX-Spiegel von > 10% kam es bei insgesamt 18 Patienten unter Prophylaxe mit rIX-FP oder N9-GP zu spontanen/minimalen traumatischen oder schwer kontrollierbaren Blutungen, die eine zusätzliche FIX-Gabe erforderten. Hingegen traten derartige Blutungen bei keinem der Patienten unter rFIXFc-Prophylaxe auf (11, 16).

Wirksam und gut verträglich auch bei nicht vorbehandelten Patienten

rFIXFc ist das erste rekombinante halbwertszeitverlängerte FIX-Präparat mit finalen Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit auch bei einer repräsentativen Population zuvor unbehandelter Patienten (previously untreated patients, PUP). In der offenen, einarmigen Phase-III-Studie PUPs B-LONG wurden 33 PUPs (medianes Alter 0,6 Jahre) mit schwerer Hämophilie B eingeschlossen. Die Mehrheit (n=28) erhielt ein individualisiertes Prophylaxeregime mit einem medianen Dosierungsintervall von 7 Tagen bei einer medianen durchschnittlichen Wochendosis rFIXFc von 58,0 I.E./kg. rFIXFc war sowohl zur Prophylaxe als auch zur Behandlung von Blutungsepisoden gut verträglich und wirksam. Tatsächlich entwickelte lediglich ein Patient einen niedrig-titrigen Hemmkörper nach 11 Expositionstagen, wohingegen keine hoch-titrigen Hemmkörper auftraten. Die Hemmkörper-Inzidenz insgesamt betrug 3,03%. rFIXFc ermöglichte auch hier einen zuverlässigen Schutz vor Blutungen bei gleichzeitig weniger prophylaktischen Injektionen. Sowohl für die spontane ABR als auch für die Gelenk-ABR lag der Median bei 0,0 (1, 17).

Literatur:

(1) Fachinformation Alprolix®, Stand: Februar 2021

(2) Pasi KJ et al. Haemophilia 2020; 26 (6): e262-e271

(3) Hoy SM. Drugs 2017; 77: 1235–1246

(4) Powell JS et al. N Engl J Med 2013; 369: 2313-23

(5) Fischer K et al. Lancet Haematol 2017; 4: e75–82

(6) Pasi KJ et al. EAHAD 2019, Poster P167

(7) Shapiro AD et al. EAHAD 2019, Poster P009

(8) Su J et al. ISTH 2017, Poster PB968

(9) Astermark J et al. EAHAD 2021, ABS127

(10) Feng D et al. J Thromb Haemost 2013; 11: 2176–2178

(11) Malec LM et al. Haemophilia 2020; 26 (3): e128-e129

(12) Gui T et al. J Thromb Haemost 2009; 7: 1843–1851

(13) Collins PW et al. Blood 2014, 124 (26): 3880-3886

(14) Santagostino E et al. Blood 2016, 127 (14):1761-1769

(15) Salas J et al. ASH 2017, Poster P1061

(16) Malec LM et al. Blood 2019; 134 (suppl 1): 2407

(17) Nolan B et al. ISTH 2020, Poster PB056

Quelle: Sobi